Fremde Welt im schwarzen Loch

Fremde Welt im schwarzen Loch

Wenn José Encinas auf die Knie geht, dann merkt man ihm seine 67 Jahre nicht an. Im Nu hat er sich auf allen Vieren durch den engen Spalt in Richtung Finsternis geschoben. „In der Höhle darf man sich nicht wie ein Löwe bewegen“, sagt er, „man muss wie eine Katze unterwegs sein.“ Encinas ist eigentlich technischer Zeichner von Beruf, seine Leidenschaft aber gehört der Speläologie, der Höhlenkunde: Seit 50 Jahren widmet er sich der Erforschung von Mallorcas „Unterwelt“.

José Encinas erkundet Mallorcas Unterwelt.
José Encinas erkundet Mallorcas Unterwelt.

„Die hiesigen Höhlen zeichnen sich zwar nicht dadurch aus, dass sie besonders groß sind“, sagt der gebürtige Sevillaner, der seit 1964 auf Mallorca lebt. „Was sie aber auszeichnet, ist ihre Schönheit.“ Mehrere Tausend Höhlen gibt es im Untergrund der Insel. Der leicht formbare Kalkstein ist dafür verantwortlich, der über Jahrmillionen hinweg der Witterung ausgesetzt war. „Mallorcas Höhlen sehen aus, als ob die Natur Spaß daran gehabt hätte, die verrücktesten Formen zu bilden“, sagt Encinas.

Selbst in dem schwarzen Loch, in das er sich soeben gezwängt hat, tut sich eine völlig fremde Welt auf, als Encinas mit seiner Helmlampe in die Runde leuchtet. Am Boden steht Brackwasser, von der Decke wächst wulstiger Fels in die Tiefe, das Atmen fällt schwer, was am erhöhten CO2-Wert in der Luft liegt, wie Encinas erklärt. Am Boden krabbelt ein dicker Tausendfüßler, der hinter einen Stein flüchtet, als ihn der Lichtkegel trifft.

Mallorcas Höhlen sind seit weit mehr als 100 Jahren Gegenstand der Forschung. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts waren es ausländische Speläologen, die die Drachenhöhlen an Mallorcas Ostküste umfassend untersuchten und kartografierten. Genutzt wurden die unterirdischen Gänge und Säle seit jeher: als Orte religiösen Kultes, als Grabstätten, als Wohnungen, als Unterstand für Nutztiere. Die Tatsache, dass die Temperaturen in den meisten Höhlen der Insel das ganze Jahr über stabil bei etwa 18 Grad liegen, machten sich Käsereien und Winzer zunutze, um dort ihre Produkte reifen zu lassen.

Versteck für Schmuggelware

Den Schmugglern dienten küstennahe Höhlen als Unterschlupf und Versteck für ihre Schmuggelware. Zu guter Letzt wurden einige Höhlen auch als Quarantänestationen genutzt: Hier wurden Pestkranke isoliert und Seefahrer, die von ihren Reisen ansteckende Krankheiten mitgebracht hatten. Der balearische Höhlenforscherverband hat 300 Mitglieder, der Vorsitzende Guillem Mulet schätzt die Zahl der Personen, die regelmäßig in mallorquinische Höhlen steigen, auf rund 1000 – sei es zu wissenschaftlichen Zwecken, aus sportlichem Ehrgeiz oder reinem Interesse. Dazu kommen zahlreiche Anbieter geführter Höhlenbefahrungen, die vor allem Touristen zu ihren Kunden zählen.

„Früher, als ich angefangen habe, die Höhlen zu erkunden, da sind wir in den Bergen vielleicht mal einem Bauern begegnet“, sagt Encinas. „Heute wimmelt es nur so von Wanderern.“ Auch das Interesse an den Höhlen steigt und deshalb die Gefahr für die Tier- und Pflanzenwelt in diesen sensiblen Ökosystemen. Experten sorgen sich vor allem um die Fledermauspopulation, die sich durch die steigende Zahl menschlicher Eindringlinge gestört fühlen könnte.

Deshalb wurden im Jahr 2011 genau 30 Höhlen auf Mallorca zu besonderen Schutzgebieten erklärt. Jetzt will die Balearen-Regierung den Zugang zu diesen Höhlen regulieren, betroffen davon wäre unter anderem auch Mallorcas größte Höhle Vallgornera. José Encinas ist über diese Pläne empört. „Diese Spezies, die angeblich geschützt werden müssen, die gibt es überall in Mallorcas Höhlen“, sagt er. „Die sind überhaupt nicht vom Aussterben bedroht.“ Der beste Beweis seien die touristisch erschlossenen Höhlen, in die seit Jahren täglich große Besuchermassen geführt werden. Selbst dort seien die Auswirkungen auf das bestehende Ökosystem gering, sagt er.

Künftig ist eine Genehmigung nötig

Die Cova de Sant Martí in Alcúdia.
Die Cova de Sant Martí in Alcúdia.

„Die wollen einfach nur einen neuen bürokratischen Apparat schaffen.“ Vorgesehen ist unter anderem eine Besucherkontrolle in den 30 unter Schutz gestellten Höhlen – wer hinein möchte, müsste in Zukunft im Voraus eine Genehmigung beantragen. Ebenso wird es bereits jetzt im Fall der Höhlen und der Canyons in der Tramuntana gehandhabt, da Mallorcas Gebirge als Gesamtheit unter Naturschutz steht. Laut der zuständigen Beamtin im Umweltministerium ist eine Sperrung der 30 Höhlen zunächst nicht vorgesehen.

Es solle aber Kontrollen geben und wer keine Genehmigung vorweisen kann, muss mit einer Strafe rechnen. „Um die Höhlen zu bewahren, muss es schon eine gewisse Regulierung geben“, sagt Guillem Mulet, der Vorsitzende des Höhlenforscherverbandes. Das größte Problem seien Halbstarke,die in die Höhlen hinabsteigen und dort Zeichen in die Wände ritzen, Felsstücke abbrechen oder Fledermäuse fangen. Auch Abwasser von Wohnhäusern, die direkt über Höhlen errichtet wurden, wird zunehmend zum Problem, da es sich nach und nach Wege durch den Fels sucht.

José Encinas sitzt mittlerweile im hintersten Winkel der Höhle und versucht einige Inschriften zu finden, die dort Mallorcas Ureinwohner hinterlassen haben sollen. Welche Ritzereien neu und welche alt sind, lässt sich aber kaum noch unterscheiden. „Die ganz große Mehrheit der Leute, die die Höhlen besuchen, benehmen sich aber vorbildlich“, sagt er und macht sich auf den Rückweg ins Freie, auf allen Vieren, behände wie eine Katze.

Erschienen im Mallorca Magazin.