Schattenwesen auf der Sonneninsel

Schattenwesen auf der Sonneninsel

Bloß nicht auffallen, das ist das Lebensmotto der 30- jährigen Graciela P., seit sie vor etwas mehr als einem Jahr nach Mallorca kam. Die Südamerikanerin dürfte eigentlich gar nicht hier sein, sie ist illegal in Spanien. Eine Aufenthaltsgenehmigung hat sie nicht, eine Arbeitserlaubnis auch nicht. Sie ist nicht gemeldet, bekommt keine Monatskarte für den Bus und auch kein Bankkonto. Wenn sie krank ist, kann sie nicht zum Arzt gehen. Für 150 Euro im Monat mietet sie ein Zimmer bei Bekannten und lebt von Gelegenheitsjobs: Meistens geht sie bei irgendwelchen Leuten putzen, schwarz. Die Angst, aufzufliegen und abgeschoben zu werden, ist ständig präsent. „Immer, wenn ich einen Polizisten sehe, erschrecke ich mich“, sagt sie.

Es liegt in der Natur der Sache, dass niemand genau weiß, wie viele Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus auf Mallorca leben. Die illegalen Immigranten sind die Schattenwesen der Sonneninsel. Es dürften viele Tausend sein. Da die Balearen eine der spanischen Regionen mit der höchsten Ausländerquote sind, dürfte auch der Anteil der illegalen Immigranten besonders hoch sein, vermutet Fina Santiago, ehemalige Immigrationsministerin und jetzt Abgeordnete der Linkspartei Més im Balearenparlament.

Graciela P. ist einem Heiratsschwindler aufgesessen.,
Graciela P. ist einem Heiratsschwindler aufgesessen.

Ihr zufolge gibt es zwei unterschiedliche Gruppen illegaler Einwanderer auf Mallorca. Zum einen sind da diejenigen, die einst ohne Einreisepapiere nach Spanien kamen und nie einen geregelten Aufenthaltsstatus erworben haben. Auf der anderen Seite ist da eine wachsende Gruppe von Einwanderern, die während der Jahre des Baubooms Arbeit auf der Insel hatten und sich legal im Land aufhielten. Durch den Verlust der Arbeit verloren sie auch ihre Aufenthaltsgenehmigung – Chancen auf ein dauerhaftes Bleiberecht hat man in Spanien erst nach fünf Jahren legalen Aufenthalts. „Viele von diesen Leuten haben an unserem Reichtum mitgewirkt“, sagt Santiago. „Wir können sie jetzt nicht einfach so wieder rauswerfen.“

Graciela P. kam 2010 als Aupair-Mädchen nach Europa, genauer gesagt nach Deutschland. Als das Visum dafür ablief, setzte sie sich kurzerhand in den Zug und fuhr nach Spanien. „Die Zugfahrt war ein ziemlicher Horrortrip“, sagt sie. „Ich habe ständig damit gerechnet, dass sie mich entdecken.“ Mehr als ihren Reisepass aber wollte niemand sehen und so schaffte sie es ohne spanisches Visum bis nach Mallorca.

Die Ausländerpolizei in Palma interessiert sich für solche Fälle höchstens am Rande. „Es ist nicht unsere Aufgabe, illegal im Land befindliche Ausländer zu jagen und auszuweisen“, sagt der Leiter der Abteilung für illegale Immigration und Dokumentenfälschung bei der Nationalpolizei. Sich illegal im Land aufzuhalten sei nichts weiter als eine Ordnungswidrigkeit, für die lediglich eine Geldbuße verhängt werden könne. Nur wenn sich herausstellt, dass jemand keine Aufenthaltsgenehmigung hat und straffällig geworden ist, werde automatisch ein Abschiebeverfahren eingeleitet.

3251 Personen ausgeflogen

Im vergangenen Jahr charterte das spanische Innenministerium 166 Flugzeuge, in denen 3251 Personen ausgeflogen wurden, vor allem nach Afrika und Südamerika. „In vielen Fällen ist eine Abschiebung überhaupt nicht möglich“, sagt der Chefinspektor der Ausländerpolizei in Palma. Denn Immigranten, die illegal ins Land gelangen, vernichten in der Regel ihre Ausweispapiere und weigern sich, gegenüber der Polizei Angaben zu ihrer Person und ihrer Herkunft zu machen. „Selbst wenn wir sicher sind, dass jemand aus Nigeria kommt, können wir ihn nicht dorthin abschieben, wenn wir keine Beweise für seine Nationalität haben.“

Also landen viele der Immigranten in einem der Auffanglager, die es auf dem Festland gibt. Dort können sie allerdings nur eine begrenzte Zeitspanne festgehalten werden, ist ihr Status bis dahin nicht geklärt, kommen sie auf freien Fuß. Auf diese Weise dürften auch einige der zumeist aus dem Senegal stammenden Straßenverkäufer auf Mallorca gelandet sein, die an der Playa de Palma im Sommer allerlei Ramsch anbieten.

Laut Polizei handelt es sich bei den überwiegend jungen Männern aber nicht mehrheitlich um illegale Einwanderer. „Die meisten von ihnen haben eine Aufenthaltsgenehmigung“, sagt der Chefinspektor der Ausländerpolizei. Bei einer Kontrolle von 68 „fliegenden Händlern“ im vergangenen Sommer entdeckte die Polizei lediglich 18 Personen, die sich illegal auf Mallorca aufhielten.

Ohnehin interessiert sich die Ausländerpolizei auf Mallorca in erster Linie für die organisierte Kriminalität, vor allem für den Menschenhandel. Immer wieder legt sie kriminellen Banden das Handwerk, die gewerbsmäßig Frauen aus Afrika oder Osteuropa auf die Insel schleusen und hier zur Prostitution zwingen. „Die Frauen werden bedroht und erpresst, damit sie ihre Schulden bei den Schleusern zurückzahlen“, sagt der Chefinspektor. Bis zu 50.000 Euro verlangten diese von den Frauen. Viele der Afrikanerinnen, die sich an der Playa de Palma prostituieren, befänden sich in dieser Situation.

Ganz so dreckig geht es Graciela P. nicht, auch wenn sie ebenfalls eine harte Zeit durchmacht. Im Internet hatte sie einen jungen Mann kennengelernt, der gegen Zahlung von 5000 Euro bereit war, sie zu heiraten und ihr so eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen. Also kam sie nach Palma, überreichte ihm die Hälfte der Summe und hoffte auf einen Neuanfang. Daraus wurde nichts. Der junge Spanier wollte vom Heiraten plötzlich nichts mehr wissen, das Geld behielt er trotzdem. „Ich bin ziemlich naiv gewesen“, sagt sie. Viele Auswege gibt es für sie nicht aus ihrer Situation. Bleibt eigentlich nur ein Arbeitsvertrag. Mit dem könnte sie eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen und müsste nicht mehr ständig fürchten, man könne sie jeden Moment erwischen, in ein Flugzeug setzen und in die Heimat abschieben.

Erschienen im Mallorca Magazin.