Satt für einen Euro

Satt für einen Euro

Bei Margalida Cortés verkommt nichts. „Wir werfen nichts weg”, sagt sie und blickt streng in die Runde. Leere Plastikflaschen werden oben abgeschnitten und als Besteckbehälter benutzt, schlaffe Salatblätter kommen in die Linsensuppe, und wenn sie einkaufen geht, dann trägt sie stets eine fein säuberlich gefaltete Plastiktüte bei sich. „Die kosten auch einen Cent”, sagt sie. „Im Laufe eines Jahres kommt da einiges an Geld zusammen.”

Margalida Cortés ist Köchin und seit vielen Jahren Freiwillige beim Roten Kreuz. Im Auftrag der Stadtverwaltung von Manacor bringt sie einkommensschwachen Familien bei, wie sie mit wenig Geld satt werden können. „Mehr als einen Euro am Tag braucht kein Mensch, um satt zu werden”, sagt sie. In dem schmucklosen Raum mit Herd, Spüle und Kühlschrank sitzen drei Frauen mit Kopftuch und Kleinkind auf dem Schoß. Es ist nicht zu erkennen, ob sie verstehen, was Margalida Cortés sagt.

Markenware ist tabu

„Was trinkt ihr morgens zum Frühstück? Milchkaffe? Kein Problem”, sagt sie. Dazu ein Stück Brot mit Schinken, mittags Reis mit zwei Spiegeleiern, abends wieder Brot mit Schinken – nach ihrer Rechnung ist all das für 88 Cent zu haben. Die drei Frauen, die an diesem Morgen ihren Ausführungen lauschen, sind offensichtlich muslimischen Glaubens. Schweineschinken dürfte bei ihnen nicht auf dem Einkaufszettel stehen.

Margalida Cortés aber fährt unbeirrt fort: Am nächsten Tag ersetze man dann Schinken durch Käse, Reis durch Nudeln, Eier durch Salat, vielleicht noch eine Tomate dazu, ein Apfel, Gemüse, sogar auf Fleisch und Fisch müsse man nicht verzichten. „Der Trick ist, richtig einzukaufen”, sagt Cortés. „Viele arme Leute sind arbeitslos. Deshalb haben sie Zeit, in den Supermärkten die Preise zu vergleichen.” Der Preis für ein Kilo Mehl variiere zwischen 37 Cent und 1,60 Euro. Tabu ist auf jeden Fall Markenware. Was man aus dem Fernsehen kennt, ist zu teuer. „Da zahlen wir den Namen mit.”

„Wer raucht, bekommt nichts zu essen“

Die goldene Regel beim Einkaufen aber ist: Immer mit vollem Magen in den Supermarkt gehen. „Sonst kaufen wir nur lauter Sachen, auf die wir gerade Appetit haben, die wir aber nicht brauchen.” Streng verboten ist das Rauchen. „Wer raucht, bekommt nichts zu essen”, sagt Cortés. Für den Preis einer Schachtel Zigaretten bekomme man schließlich Nahrungsmittel, die eine ganze Familie einen Tag lang satt machen können.

Die Stadtverwaltung von Manacor, Mallorcas zweitgrößter Stadt, veranstaltet die Kochkurse seit knapp zwei Jahren. Die Wirtschaftskrise hat die Stadt im Inselosten schwer getroffen. Weit mehr als 3000 Personen sind arbeitslos gemeldet. Die Quote liegt bei rund 20 Prozent. 60 Familien betreut das Sozialamt der 40.000-Einwohnerstadt derzeit. „Die Krise hinterlässt ihre Spuren”, sagt Magdalena Sureda, Sozialdezernentin der Stadt.

Das Problem in Manacor, auf Mallorca, in ganz Spanien: Es gibt kein soziales Netz, wie es etwa in Deutschland als Selbstverständlichkeit angesehen wird. Arbeitslosengeld bekommt man für maximal 22 Monate. Eine Entsprechung zu „Hartz IV” gibt es nicht. Zwar zahlt der Staat unter Umständen monatlich 400 Euro Unterstützung, einen Rechtsanspruch darauf haben die Bürger nicht.

Schürze mit Hosenschlitz

Je länger die Krise andauert, desto dramatischer wird die Situation für die Betroffenen. Margalida Cortés sieht ihre Aufgabe nicht nur darin, den Leuten das richtige Hauswirtschaften beizubringen. Sie will ihnen auch Selbstwertgefühl mit auf den Weg geben. „Unseren Stolz kann uns keiner nehmen”, sagt sie. „Wenn uns einer schief anguckt, dann lächeln wir nur.” So wie sie, wenn sie ihre Schürze vorzeigt, die sie aus einer alten Herrenhose geschneidert hat. Die Schürze hat sogar noch einen Hosenschlitz mit Reißverschluss.

„Wir nehmen das Geld einfach zu wichtig”, sagt sie. „Die Leute denken: Was du hast, das bist du. Das ist falsch: Was du tust, das bist du.” Ihre drei Zuhörerinnen an diesem Morgen sind derweil mit ihrer Aufmerksamkeit längst woanders. Es ist viertel nach elf und der Kochkurs ist vorüber. Margalida Cortés stellt den Anwesenden einen Berechtigungsschein aus. Mit dem können sie sich nebenan im Lebensmittellager ein Paket mit Nahrungsmitteln abholen. Die Teilnahme am Kurs ist die Voraussetzung dafür.

Erschienen im Mallorca Magazin.