Ein Gesetz, viele Meinungen

Ein Gesetz, viele Meinungen

Alle waren dafür: Ohne Gegenstimme und Enthaltung passierte das „Gesetz zum umfassenden Schutz vor Geschlechtergewalt” am 22. Dezember 2004 den Kongress in Madrid – eines der seltenen Beispiele für parteiübergreifenden Konsens in der spanischen Politik. Als es so weit war, laut Sitzungsprotokoll genau um 15.10 Uhr, erhoben sich die 325 Abgeordneten von ihren Sitzen und applaudierten minutenlang.

71 Frauen waren im Jahr zuvor in Spanien durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet worden und zum ersten Mal gab es nun ein Gesetz, das für effektiven Schutz vor dieser „Machogewalt” sorgen sollte. „Die Hoffnung so vieler Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte, hat sich erfüllt”, sagte der damalige Sozialminister der sozialistischen Regierung in Madrid, Jesús Caldera, vor der Abstimmung in seiner Rede zur Begründung des Gesetzes. „Wenn bestimmte Rechte nicht für alle gelten, dann muss man die Veränderung durch positive Diskriminierung vorantreiben. Wenn die Ungerechtigkeit besonders groß ist, dann bedarf es Aktionen der Ungleichbehandlung, um Gleichbehandlung zu schaffen.”

Faustschlag, Ohrfeige, Tritt

Ein Gesetz, das „positive Diskriminierung” schafft? Das die „Ungleichbehandlung” fördert? Schon damals war das nicht unumstritten, seit einiger Zeit nun wird die Kritik daran aber immer lauter. Vor allem die rechtspopulistische Partei Vox, die Umfragen zufolge spanienweit im Aufwind ist, hat das Thema für sich entdeckt. „Die Männer werden kriminalisiert, bloß, weil sie Männer sind”, sagt Malena Contestí, Vizepräsidentin der Partei auf den Balearen. „Mann und Frau sind vor dem Gesetz nicht gleich.” Natürlich müssten Frauen vor ihren Peinigern ge- schützt werden, das dürfe aber nicht auf Kosten einer pauschalen Benachteiligung aller Männer gehen.

Was sie meint, zeigt ein Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. Dezember. Darin geht es um ein Pärchen aus Saragossa: Pablo Jesús und Palmira. Sie gerieten über eine Nichtigkeit in Streit und wurden auf offener Straße handgreiflich. Erst schlug sie ihm mit der Faust ins Gesicht, dann gab er ihr eine Ohrfeige, dann trat sie ihn. Keiner erlitt ernsthafte Blessuren. So steht es im Gerichtsprotokoll. Der Fall kam vor Gericht, beide wurden wegen Körperverletzung in einem minder schweren Fall verurteilt. Palmira zu drei Monaten Gefängnis, Pablo Jesús zu sechs Monaten. Sein Problem: Seitdem das Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtergewalt in Kraft ist, macht es in bestimmten Fällen einen Unterschied, ob der Täter ein Mann oder eine Frau ist.

Ist der Machismo schuld?

Das hält Jorge Skibinsky für ungerecht. Der Augenarzt ist Vorsitzender des Verbandes der getrennt lebenden Familienväter auf den Balearen und ein überzeugter Kritiker des Gesetzes gegen Geschlechtergewalt. Dieses schaffe nur neue Ungerechtigkeit und gehe von einer falschen Annahme aus: dass die Ursache der Geschlechtergewalt der „Machismo” sei. Dass die spanischen Männer ihre Frauen als Eigentum betrachten und entsprechend behandeln. „Es mag solche Fälle geben”, sagt er. „Wenn es aber im häuslichen Umfeld zu einer Gewalttat kommt, dann ist das erst einmal ein Konflikt zwischen zwei Personen, unabhängig von deren Geschlecht.” Die Reduzierung auf den „Machismo” als Ursache führe dazu, dass das eigentliche Problem nicht gelöst werde. „Das ist, wie wenn ich als Arzt eine falsche Diagnose stelle und dann auf deren Grundlage die Behandlung durchführe.”

Zahlen des spanischen Gleichstellungsministeriums zufolge wurden in Spanien im vergangenen Jahr 47 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern umgebracht. 125.223 Fälle von Geschlechtergewalt wurden angezeigt. Auf Mallorca starb im vergangenen Jahr Sacramento Roca durch die Hand ihres Ex-Partners. Rafael Pantoja tötete die junge Frau am 16. November mit einem Dutzend Messerstichen. Die Frau war zuvor bei der Polizei gewesen und hatte Belästigungen durch ihren ehemaligen Lebensgefährten angezeigt. Die zuständigen Beamten aktivierten jedoch nicht das Protokoll für Fälle von Geschlechtergewalt, das sofortige Schutzmaßnahmen für Sacramento Roca bedeutet hätte. Gegen die Beamten wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.

„Es kommt häufig vor, dass die nötigen Schutzmaßnahmen für bedrohte Frauen nicht ergriffen werden”, sagt Nina Parrón, Chefin der Gleichstellungsdirektion im Inselrat. Für die Mitte-Links-Regierung in Palma hat das Thema große Bedeutung. Das zeigt schon die Tatsache, dass Parrón ihr Büro nicht etwa in einem Zweckbau am Stadtrand hat, sondern in dem denkmalgeschützten Palast mitten in Palma, in dem auch der Inselratspräsident seine Audienzen hält.

„Wir Frauen sind in einer benachteiligten Position“

Für Parrón ist Geschlechtergewalt nur eine Form eines umfassenden Unterdrückungssystems: des Patriarchats. Bis heute würden Frauen benachteiligt, unterdrückt und misshandelt. Sie fordert deshalb eine Reform des Gesetzes, der Begriff Geschlechtergewalt müsse auch Vergewaltigung, Genitalverstümmelung und Prostitution umfassen. Dass das Gesetz eine Ungleichbehandlung von Männern und Frauen beinhalte, sei kein Problem, sondern der eigentliche Zweck. „Wir Frauen sind in einer benachteiligten Position”, sagt sie. „Da ist es nur richtig, dass es Maßnahmen gibt, um diesen Nachteil auszugleichen.”

Was das in der Praxis bedeutet, erlebt der Rechtsanwalt Eduardo Luna in seiner täglichen Arbeit. „Es gibt Frauen, die das Gesetz nutzen, um ihre Position während einer Scheidung zu verbessern”, sagt Luna. Denn in der Praxis sieht es beispielsweise so aus, dass ein Mann, der von seiner Frau oder Ex-Partnerin wegen Geschlechtergewalt angezeigt wird, selbst ohne jeglichen Beweis zunächst einmal eine Nacht auf der Wache verbringt, bis sich ein Richter mit dem Fall befasst. Zwar liegt die Zahl ungerechtfertigter Anzeigen wegen Geschlechtergewalt offiziellen Statistiken zufolge gerade einmal bei 0,01 Prozent. Die Zahl spiegele aber nicht die tatsächliche Dimension des Problems wider, weil sie lediglich die Fälle umfasse, in denen ein Gericht tatsächlich eine Falschaussage nachgewiesen hat. „Mit der Verfolgung ungerechtfertigter Anzeigen sind viele Gerichte sehr zurückhaltend”, sagt Luna.

Wie es weitergeht mit dem Gesetz gegen Geschlechtergewalt wird wohl vor allem davon abhängen, wie die Mehrheitsverhältnisse in den Parlamenten nach den anstehenden Wahlen im April und Mai sein werden. Es ist durchaus denkbar, dass ein Mitte-Rechts-Bündnis in Madrid unter Beteiligung von Vox eine Neufassung des Gesetzes vorantreiben würde. Eines aber ist jetzt schon klar: Einen breiten Konsens wie vor 15 Jahren gäbe es dafür sicher nicht.

Erschienen im Mallorca Magazin.