Lernen vom Weltmeister

Lernen vom Weltmeister

Wenn das spanische Gesundheitsministerium stets im Januar die Organspende-Zahlen des Vorjahres verkündet, dann wimmelt die dazugehörige Pressemitteilung nur so vor Rekordmeldungen. „Spanien – weltweiter Anführer bei Spendern und Transplantationen”, lautete der Titel des zuletzt veröffentlichten Dokuments mit den Zahlen des Jahres 2018. Demzufolge gab es im vergangenen Jahr in Spanien 2243 Spender – so viele, wie nie zuvor. Tatsächlich transplantiert wurden 5314 Organe. „Damit haben wir erneut unseren eigenen Bestwert übertroffen”, stellte Gesundheitsministerin María Luisa Carcedo nicht ohne Stolz fest.

Kein Wunder, dass Spanien als Vorbild gilt, was die Organspende angeht. Die Ursachen für den Erfolg sind allerdings vielschichtig. Wenn Dr. Julio Velasco zu einer Erklärung ansetzt, dann spricht er als Erstes über die Organisation. „Das hiesige System hat drei Ebenen”, sagt der Koordinator der Transplantationsabteilung im Universitätskrankenhaus Son Espases.

Zum einen fungiere die Nationale Transplantationsorganisation (NTO) als zentrale Anlaufstelle. Daneben gebe es in jeder Region des Landes einen Transplantationsbeauftragten. Die wichtigste Funktion aber hätten die Teams in den Krankenhäusern – Intensivmediziner, die fest in die krankenhausinternen Abläufe integriert sind und auf diese Weise sofort mitbekommen, wenn ein Patient als Organspender infrage kommt.

Die Angehörigen haben das letzte Wort

Über die sogenannte Widerspruchsregelung dagegen, über die derzeit in Deutschland heftig debattiert wird, spricht Velasco nicht. In Spanien sieht das Transplantationsgesetz bereits seit 40 Jahren vor, dass jeder Mensch zunächst einmal als potenzieller Organspender gilt. Es sei denn, er hat sich zu Lebzeiten dagegen ausgesprochen. In der Praxis spielt die Widerspruchsregelung aber keine Rolle, Organe werden nicht einfach so entnommen, erklärt Dr. Velasco. „Immer, in jedem einzelnen Fall, befragen wir die Angehörigen nach dem vermeintlichen Willen des Verstorbenen”, sagt er. „Gegen den Widerstand der Familie werden keine Organe entnommen. Nie.”

Es ist also nicht auf die Widerspruchsregelung zurückzuführen, dass Spanien bei Organspenden gut dasteht. Das belegen auch Zahlen der Transplantationsorganisation NTO. Bevor diese im Jahr 1989 gegründet wurde, lag die Zahl der Organspender in Spanien noch bei 14 pro Million Einwohner – einer der niedrigsten Werte europaweit – obwohl es die Widerspruchsregelung damals bereits seit zehn Jahren gab.

Auch Dr. Thomas Breidenbach ist überzeugt, dass sich der Erfolg des
spanischen Modells nur durch mehrere Faktoren erklären lässt. „Einfach nur auf die Widerspruchslösung zu setzen, reicht nicht aus”, sagt der Geschäftsführende Arzt der Deutschen Stiftung Organtransplantation Region Bayern, der sich intensiv mit den Gegebenheiten in Spanien beschäftigt hat. Wenn jeder Mensch zunächst einmal als potenzieller Organspender gelte, würde man vielleicht ein paar mehr Spender bekommen, aber nicht das strukturelle Problem in deutschen Krankenhäusern lösen.

Hirntod ist nicht das einzige Todeskriterium

„Wenn ein Spender im Krankenhaus gar nicht als solcher erkannt wird, hilft auch die Widerspruchslösung nicht weiter”, sagt Dr. Breidenbach. Um das zu ändern, müsste es in Deutschland wie in Spanien in den Krankenhäusern „Inhousekoordinatoren” geben, die sich hauptsächlich der Spendererkennung widmen. Etwas Ähnliches sehe der nun von Gesundheitsminister Jens Spahn präsentierte Vorschlag zwar vor. „Wie das angesichts der personellen Engpässe im deutschen Gesundheitswesen allerdings umgesetzt werden soll, ist unklar”, sagt Dr. Breidenbach. Auch, was die Schulung des Krankenhauspersonals in Sachen Organspende angehe, sei Spanien anderen Ländern weit voraus.

Ein weiterer Grund für die spanischen Transplantationsrekorde ist die Tatsache, dass hierzulande seit einigen Jahren nicht mehr ausschließlich hirntote Patienten als Organspender infrage kommen – wie es etwa in Deutschland der Fall ist. Seit dem Jahr 2012 gilt auch ein mehr als zehnminütiger Kreislaufstillstand als ausreichendes Todeskriterium für die Organentnahme. „Durch die immer bessere Verkehrssicherheit ist die Zahl der Hirntoten in Spanien stark zurückgegangen”, sagt Dr. Velasco.

„Widerspruchslösung spiegelt Konsens wider“

Auch seien die Behandlungsmöglichkeiten bei Hirnblutungen immer besser geworden. Deshalb sei der Kreislaufstillstand vom Gesetzgeber als weiteres Kriterium anerkannt worden – wie auch in anderen Ländern, darunter zum Beispiel die Schweiz und Österreich. Im vergangenen Jahr war jeder dritte Organspender in Spanien nicht hirntot, sondern hatte einen Kreislaufstillstand erlitten. „Und der Anteil wird jedes Jahr weiter wachsen”, sagt Dr. Velasco.

Auch, wenn die Widerspruchsregelung für den Erfolg des spanischen Modells also nur eine untergeordnete Rolle spielt: Dr. Thomas Breidenbach spricht sich dennoch dafür aus. „Sie spiegelt einen gesellschaftlichen Konsens wider”, sagt er. „Und das ist wichtig.” In Spanien werde die Organspende mittlerweile ein Stück weit als selbstverständlich betrachtet. In Deutschland dagegen komme es immer noch viel zu häufig vor, dass in Krankenhäusern bei Patienten mit vermutetem Hirntod die Behandlung beendet werde, ohne, dass überhaupt über das Thema Organspende ge- sprochen worden sei.

Erschienen im Mallorca Magazin.