Wie das Bier nach Mallorca kam

Wie das Bier nach Mallorca kam

Ein Teller Tapas in der Bar an der Ecke, ein Pamboli oder einfach nur ein Schälchen Oliven, dazu ein kleines, frisch gezapftes Bier, die Caña – was könnte mallorquinischer sein? Zwar liegt Spanien was den Bierkonsum angeht mit durchschnittlich 52 Litern pro Kopf und Jahr weit, weit hinter Ländern wie Deutschland (99 Liter), Österreich (107) und der Tschechischen Republik (191), dennoch hat das Bier den Wein auch hierzulande auf dem Spitzenplatz unter den beliebtesten alkoholischen Getränken längst abgelöst. Der Durchschnittsspanier konsumiert gerade einmal etwas mehr als acht Liter Wein pro Jahr. Das allerdings ist eine Entwicklung des 20. Jahrhunderts.

Juan Oliver im Keller seines Hauses, in dem sich Hunderte Sammlerobjekte aneinanderreihen. Foto: jm

„Als ich ein junger Mann war und mit meiner damaligen Freundin ausgegangen bin, sind wir oft auf der Plaça Mercat Hot Dogs essen gegangen“, sagt Juan Oliver. „Da habe ich mir dann am liebsten so einen richtigen Humpen Bier dazu bestellt.“ Das war in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und längst hatten die großen spanischen Brauereien angesichts des boomenden Tourismus auch Mallorca als Markt für sich entdeckt.

Ein Schluck Bier fürs kranke Kind

Eine Generation vorher war Bier noch etwas Besonderes. „Wenn er als Kind krank war, bekam mein Vater, der Jahrgang 1914 war, von seiner Mutter immer etwas Bier zu trinken“, erinnert sich der 72-Jährige. „Wegen der belebenden Wirkung.“ Juan Oliver ist stolzer Besitzer einer beeindruckenden Sammlung, die sich ausschließlich um das Thema Bier dreht. Wenn er im Keller seines Einfamilienhauses am Stadtrand von Palma die Glühbirne anknipst, dann tauchen aus der Dunkelheit Hunderte Gläser und Bierflaschen aller nur erdenklichen Biermarken auf, die sich in den Regalen aneinanderreihen.

Aber nicht nur das macht Oliver zu einem guten Ansprechpartner in Sachen Bier auf Mallorca. Im Jahr 1964 begann er als 16-jähriger Bursche bei der Firma Pripp Española S.A., dem hiesigen Ableger des schwedischen Brauereikonzerns Pripps. Er verbrachte seine gesamte berufliche Laufbahn als Verwaltungsmitarbeiter in der Firma, die später S.A. Balear de Cervezas hieß. Also hat er noch die Zeiten aus nächster Nähe miterlebt, in denen die Bierkisten aus Holz waren, man für die Glasflaschen Pfand zurückbekam und die Brauerei in Palma den so charakteristischen Geruch nach Hopfen und Malz verströmte.

Das Bier für die Familie – mit diesem Spruch bewarb die mallorquinische Brauerei Pripp auf einem Wandkalender des Jahres 1974 die neue Literflasche der Marke Rosa Blanca. Foto: Sammlung Juan Oliver

Die Grundzutaten wurden importiert, aus Schweden, aus der damaligen Tschechoslowakei und aus Deutschland. „Ich erinnere mich noch, dass der Hopfen in ein Kubikmeter dicken Bündeln geliefert wurde und sehr aromatisch duftete – nicht so wie der zu Pellets gepresste Hopfen, den es dann später gab“, sagt Oliver. Pripps, Molí Balear, Falcón, Dorada Balear, La Rosa Blanca hießen die damals produzierten Marken. Die Anfänge des Bierbrauens auf der Insel aber liegen noch ein ganzes Stück weiter zurück.

Ein Glas Wein zum Frühstück

Traditionell, das heißt seit Jahrtausenden, ist der Mittelmeerraum Weingebiet. Das war auch im ausgehenden 19. Jahrhundert noch so, als der Erzherzog Ludwig Salvator in seinem Werk „Die Balearen“ die Sitten und Bräuche der Inselbewohner beschrieb. „Wein wird allgemein von den Armen wie von den Reichen früh, mittags wie abends getrunken, natürlich hauptsächlich von Männern“, heißt es da. Und an anderer Stelle: „Als Erfrischungen trinkt man in Palma während der heißen Sommerzeit vielen Sorbet und andere mit Eis gekühlte Getränke.“

Auch alte Importstatistiken, die der Erzherzog in seinem Buch zitiert, belegen, dass Bier noch kaum eine Rolle spielte damals auf Mallorca. So wurden zwischen dem 1. September 1866 und dem 31. August 1867 an Palmas Stadttoren mehr als 1,8 Millionen Liter Wein deklariert. Die Biermenge dagegen erscheint im Verhältnis geradezu lächerlich: 3194 Liter. Gleiches gilt für die Nachbarinsel Menorca. Die Hafenimportstatistik von Maó weist für die Jahre 1883 bis 1887 gerade einmal 160 Liter Bier aus.

Interessanterweise sind dort auch die damals üblichen Preise angegeben. So belief sich der Literpreis für Bier auf 0,47 Peseten. Zum Vergleich: Ein Liter Branntwein kostete 0,17 Peseten, ein Liter Wein 0,33 Peseten. Ein Kilo Mehl gab es für 0,0035 Peseten, ein Kilo Zucker für 0,006 Peseten. Bier war noch am Ende des 19. Jahrhunderts ein absolutes Luxusprodukt. Grundlegend ändern sollte sich das erst Jahrzehnte später.

Britische Soldaten hatten großen Bierdurst

Menorca war der größeren Nachbarinsel dabei sogar ein gutes Stück voraus, was die Einführung des Bieres anging. Schließlich stand die Insel im 18. Jahrhundert lange unter britischer Verwaltung – und die dort stationierten britischen Soldaten hatten großen Bierdurst. Vermutlich waren sie jedoch völlig auf den Import angewiesen. Die ersten Hinweise auf eine funktionierende Bierproduktion gibt es erst im 19. Jahrhundert, wie der Forscher Javier Calvo anmerkt.

1865 seien die ersten Zeitungsanzeigen eines gewissen Francisco Prats aufgetaucht, der in Maó Limonaden und Bier vertrieb. Wahrscheinlich handelte es sich dabei jedoch um in Fässern vom Festland aus importierte und dann von ihm lediglich in Flaschen abgefüllte Ware, so Calvo, der seit vielen Jahren zur Geschichte des Bieres in Spanien forscht und auch eine Internetseite zu dem Thema hat (botellasserigrafiadas.blogspot.com). Vermutlich erst Jahre später produzierte Prats unter der Marke El Cisne dann auch sein eigenes Bier.

Die Anzeige der Firma Miret y Compañia erschien im April 1890 in der Zeitung La Opinión.

Ähnlich verlief die Geschichte auf Mallorca. Am 5. April 1890 erschien in der mallorquinischen Zeitung El Isleño eine Annonce der Firma Roca Hermanos y Compañía, die sich unter dem Markennamen La Rosa Blanca auf die Herstellung aller Arten sprudelnder Getränke spezialisiert hatte – darunter auch Bier. Die Produktionsstätte befand sich zunächst in Santa Catalina außerhalb der Altstadt, später dann im Carrer Protectora. Dort verfügte die Firma offenbar über einen eigenen Brunnen, aus dem das Wasser für die Produktion gefördert wurde.

„Nur wenige in Europa brauen so rein“

„La Rosa Blanca verarbeitet das Gerstenmalz für das Bier in seiner eigenen Fabrik“, heißt es in der Anzeige. Dem Bier werde kein Alkohol künstlich hinzugefügt, ebenso wenig weitere chemische Zusätze. Abgefüllt wurde das Bier in 33-Zentiliter-Flaschen. „Bier ist ein sehr nahrhaftes und durstlöschendes Getränk, das aufgrund seines natürlichen Alkoholgehaltes belebend wirkt“, ist in der Annonce weiter zu lesen. „Wegen des Kohlensäuregehaltes ist es sehr erfrischend, aufgrund der Bitterkeit und des Aromas des Hopfens wirkt es stärkend und anregend.“

Nur eine Woche später veröffentlichte die Firma Miret y Compañia in der Zeitung La Opinión ebenfalls eine Anzeige. „Große Fabrik für sprudelnde Getränke und Bier“, ist sie überschrieben. „Wir haben nie pompöse Annoncen genutzt, um uns selbst zu loben“, heißt es im Text. „Den Gaumen betrügt man nicht mit bedrucktem Papier.“ Man habe kürzlich ein Gebäude an der Rambla erworben, in dem die Brauerei installiert worden sei. „Es dürfte nur wenige in Europa geben, die mit einem solchen Grad an Reinheit produzieren.“

Auch die Reblaus leistet einen Beitrag

Ob der Unternehmer Francisco Miret tatsächlich schon am Ende des 19. Jahrhunderts Bier braute, ist allerdings ungewiss. „Mir ist diese Marke in all den Jahren niemals untergekommen“, sagt der Sammler Juan Oliver. Für Forscher Javier Calvo ist La Rosa Blanca die erste tatsächlich auf Mallorca hergestellte Biersorte – und ohne Zweifel auch die berühmteste: Der Name spielt bis heute eine wichtige Rolle in der Geschichte der Bierbrauerei auf der Insel.

Wie dem auch sei – im Vergleich zum Rest Spaniens landete das Bier jedenfalls erst recht spät auf Mallorca. Laut Xavier García, Verfasser eines Buchs über die Geschichte des Bieres in Spanien, gab es bereits im 18. Jahrhundert erste Brauereien in Madrid und Küstenstädten wie Cádiz, Bilbao, Santander. Der Historikerin Claudia Prieto zufolge darüber hinaus auch in Gijón. Nachdem an der Wende zum 19. Jahrhundert Produktion und Verkauf von Bier liberalisiert worden waren, entstanden weitere Brauereien.

Dazu kam, dass Wein wegen der Reblausplage in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts immer teurer wurde und die Zahl der Einwanderer aus Ländern mit langer Biertradition zunahm. Die Entwicklung neuer Technologien kam hinzu: So ermöglichte etwa die Entwicklung von Kühlmaschinen die Haltbarmachung – in einem heißen Land wie Spanien ein nicht ganz unwichtiges Detail.

Elsässer brachten das Bier nach Barcelona

Vor allem Barcelona entwickelte sich unter dem Einfluss in erster Linie elsässischer Immigranten zu einem Zentrum der Bierbraukunst auf der iberischen Halbinsel. So kam Mitte des 19. Jahrhunderts der gebürtig aus Pfaffenhofen stammende Louis Moritz in die katalanische Hauptstadt. Das Bier, das seinen Nachnamen trägt, gibt es noch immer. August Kuentzmann Damm wiederum ließ sich 1870 in Barcelona nieder und gründete dort die Brauerei, die heute unter dem Namen Damm zu den bedeutendsten des Sektors gehört.

Pripps und Rosa Blanca sind die bekanntesten der einst auf Mallorca gebrauten Biermarken. Die Bandbreite der verschiedenen Sorten war enorm, wie die Etiketten verraten, die allesamt aus der Sammlung von Juan Oliver stammen.

Auf Mallorca wiederum spielte der deutschstämmige Baske Antonio Knörr zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle als technischer Direktor der Firma Roca Hermanos y Compañía. Ab 1924 fungierte die Brauerei dann unter dem Namen Rosa Blanca S.A., bis sie 1964 von Pripp Española S.A. übernommen wurde – der Firma, bei der Juan Oliver fast sein gesamtes Berufsleben verbrachte.

Die „Bierstraße“ gab es noch nicht

Es war die Zeit, in der Mallorca seinen ersten touristischen Boom erlebte. 1960 löste Son Sant Joan den bisherigen Flughafen Son Bonet ab, der dem wachsenden Urlauberstrom nicht mehr gewachsen war. 1965 landeten erstmals mehr als eine Million Touristen auf der Insel. Und was brachten diese unter anderem mit? Großen Bierdurst, natürlich! Sagten sich die Bierbrauer.

Zwar gab es noch keine „Bierstraße“ und auch keine Lokale, die Urlaubern schon am Mittag zwei Humpen Bier zum Preis von einem vorsetzten, wie man sie heute an der Playa de Palma reihenweise findet, dennoch war Mallorca plötzlich interessant als Absatzmarkt. „Der Tourismus hat ganz gewiss eine wichtige Rolle gespielt bei der Etablierung des Bieres auf der Insel“, sagt Juan Oliver. „Ohne ihn wären die Brauereikonzerne vom Festland damals nicht auf Mallorca gelandet.“

Für Mallorcas Brauerei bedeutete die Konkurrenz allerdings schon bald das Aus. Dem Forscher Pedro Ortega zufolge (librosconcerveza.blogspot.com) beteiligte sich Damm im Jahr 1977 an Pripp Española S.A., weshalb der katalanische Konzern heute die Rechte an den meisten historischen mallorquinischen Biermarken hält. Seit einiger Zeit vertreibt Damm ein aromatisiertes Lager, auf dessen Etikett „Rosa Blanca, Mallorca 1927“ steht.

Damm lässt Rosa Blanca wieder aufleben

Es ist der Versuch, die Marke wiederzubeleben, mit der die Bierproduktion auf Mallorca einst begann – vermutlich steckt auch die Absicht dahinter, von dem Boom der „Autorenbiere“ zu profitieren, der auf der Insel nun schon seit mehreren Jahren anhält und immer neue sogenannte handwerklich hergestellte Biersorten hervorbringt. „Es wäre toll, wenn wir die Produktion irgendwann wieder auf die Insel verlagern könnten“, heißt es bei Damm.

1998 musste Mallorcas Brauerei schließen, die sich am Camí Fondo in Palma befand, nicht weit vom heutigen Ikea-Standort entfernt. Foto: Sammlung Juan Oliver

Der alte Standort in Palma aber ist längst Vergangenheit. Mallorcas Brauerei musste im Jahr 1998 schließen. „Ich war so ziemlich der letzte dort“, sagt Oliver. „Ich habe quasi zugesperrt.“ Die Produktionsanlage stand dann noch einige Jahre ungenutzt herum. Vor einiger Zeit wurde das Gebäude dann abgerissen. „Da hatten sie kein Erbarmen, obwohl die Fassade wirklich ein zu ihrer Zeit sehr modernes Design hatte“, erinnert sich Oliver. „Zum Glück habe ich so viele Andenken wie möglich gerettet damals.“ Sie stehen nun fein säuberlich aufgereiht neben all den anderen Sammlerstücken in seinem Keller.

Erschienen im Mallorca Magazin.