Mallorcas verkorkste Urlaubssaison

Mallorcas verkorkste Urlaubssaison

Eigentlich müsste Paul Patrovsky in diesen Tagen im Dauereinsatz sein: Touristen die versteckten Winkel in Palmas Altstadt zeigen, ihnen die Entstehungsgeschichte der Kathedrale erklären und verraten, wo man die besten Tapas isst. Stattdessen hat der 56 Jahre alte Reiseführer mehr Freizeit, als ihm lieb ist. Die Nachfrage nach seinen Diensten ist auch im zweiten Corona-Sommer auf Mallorca dürftig. „Wenn es vier Ausflüge pro Woche sind, dann ist es schon viel“, sagt er. Das ist deutlich weniger als in normalen Jahren, in denen er im August praktisch täglich mit Urlaubergruppen unterwegs ist. Stattdessen hat der 56 Jahre alte Reiseführer, der aus Tschechien stammt, aber bereits 1988 auf die Insel kam, mehr Freizeit, als ihm lieb ist.

Nur zwei Drittel der Hotels haben geöffnet

Mallorca im August – wenig los an der Kathedrale in Palma. Foto: jm

Auch in diesem Sommer ist die Lage auf der Ferieninsel angespannt. Zwar sind im Gegensatz zum vergangenen Jahr wieder touristische Reisen möglich, allerdings längst noch nicht wieder in dem Maße, wie vor der Corona-Pandemie. An Mallorcas Flughafen wurden im Juli knapp 2,5 Millionen Passagiere abgefertigt. Das sind noch immer fast 50 Prozent weniger, als im Juli 2019. Der Hotelverband wiederum beziffert die durchschnittliche Auslastung auf der Insel in diesen Tagen mit 65 Prozent. In normalen Jahren heißt es im August: ausgebucht! Dazu kommt, dass wegen der schwachen Nachfrage derzeit gerade einmal zwei Drittel der etwa 700 Hotels überhaupt geöffnet haben.

„Es läuft zwar besser, als im vergangenen Jahr“, sagt Patrovsky. „Aber es reicht nicht, um über den Winter zu kommen.“ Zehntausende im Tourismussektor tätige Inselbewohner haben lediglich sechs bis acht Monate im Jahr regelmäßige Einkünfte. Wenn das Geschäft dann im Sommer schlecht läuft, reicht es bei vielen hinten und vorne nicht. „Auch bei uns zu Hause herrscht seit Monaten Krisenwirtschaft“, sagt Patrovsky. Eingekauft werde nur noch im Billigsupermarkt. Einigermaßen über die Runden kommt er nur, weil seine Frau einen krisensicheren Behördenjob hat. „Ich zähle mich trotz allem zu den Privilegierten. Andere hat es viel härter getroffen.“

Paul Patrovsky hat derzeit mehr Freizeit, als ihm lieb ist. Foto: jm

In den Urlauberorten kämpfen die Wirte ums Überleben

Etwa die vielen Gastronomen, die monatelang nur unter Auflagen öffnen durften – wenn überhaupt. Zeitweise war lediglich Außer-Haus-Service erlaubt, später galten dann strenge Beschränkungen der Gästezahl. Rund 40 Prozent der Betriebe werden die Pandemie nicht überstehen, schätzt Helmut Clemens, Vizevorsitzender des Gastronomenverbandes. Zumal die bereits vor Monaten zugesagten Hilfszahlungen der Regierung noch immer nicht angekommen seien. „Vor allem in den Urlauberzonen an der Küste kämpfen die Wirte ums Überleben“, sagt der gebürtige Deutsche, der auf der Insel mehrere Lokale betreibt.

Dabei hatte die Tourismussaison auf der Insel zunächst vielversprechend begonnen. Die Inzidenz war dank monatelanger Restriktionen auf niedrigem Niveau, die Impfkampagne lief gut an und vor allem die deutschen Reiseveranstalter meldeten eine hohe Nachfrage nach Mallorca-Urlaub. Doch dann kam alles ganz anders. Die Balearen-Regierung lockerte die Anti-Coronavorschriften, die ersten Touristen landeten – vor allem vom spanischen Festland und aus Deutschland – und schon schossen die Ansteckungszahlen wieder in die Höhe. Vor allem wilde Feiern unter freiem Himmel machte die balearische Gesundheitsbehörde als Infektionsherde aus.

Die Polizei ist im nächtlichen Dauereinsatz

Besonders an den beiden wichtigsten Touristenmeilen, an der Playa de Palma und in Magaluf, geht es nachts seit Monaten wieder hoch her. Dazu kommt, dass auch die einheimischen jungen Leute nach monatelangen Entbehrungen nun all das nachholen wollen, was ihnen zuletzt verwehrt blieb. Und so ist die Polizei seit Wochen im nächtlichen Dauereinsatz, um Massenbesäufnisse und illegale Partys aufzulösen. Mittlerweile gilt wieder ein Kontaktverbot von ein Uhr bis sechs Uhr früh. Dennoch schoss die Sieben-Tages-Inzidenz in die Höhe, woraufhin die Bundesregierung im Juli ganz Spanien zum Hochinzidenzgebiet erklärte. Wegen der damit verbundenen Quarantänepflicht für nichtgeimpfte oder -genesene Reiserückkehrer ein harter Schlag für Mallorcas Tourismuswirtschaft. Dazu kommt noch, dass nun auch das spanische Gesundheitsministerium mehrere deutsche Bundesländer als Risikozonen eingestuft hat – was Urlaubern die Einreise weiter erschwert.

Marion Kell verkauft Selbstgeschneidertes auf der Plaça Major. Foto: jm

Und so herrscht in diesen Tagen in Palmas Altstadt nicht das übliche August-Gedränge. Zum Leidwesen von Marion Kell. Die gebürtige Holsteinerin ist Schneiderin, lebt seit vielen Jahren auf der Insel und verkauft an ihrem Stand auf der Plaça Major mitten in Palma selbstgenähte Hüte und Hemden. Im vergangenen Jahr habe sie sich zeitweise große Sorgen gemacht, sagt sie. „Da hatte ich richtige Existenzängste.“ Das sei nun nicht mehr so. „Das Geschäft läuft zumindest mit halber Kraft.“ Obendrein habe sie als Selbständige Unterstützungszahlungen bekommen. „Man lernt, jeden Euro zu schätzen.“

Für September sind 39 Kreuzfahrtschiffe angekündigt

Auch Paul Patrovsky bemüht sich um eine positive Sicht der Dinge. Zumal die viele Freizeit in den vergangenen Monaten auch ihr Gutes hatte: Um nicht untätig zu Hause herumzusitzen, bewarb er sich als Statist bei einer deutschen TV-Produktion, die auf der Insel entstand. „Total spannend, mal zu sehen, wie es da so zugeht“, sagt er. Und fast ein bisschen schade, dass es damit nun wieder vorbei ist. Denn schon im September wird er wohl in seinem eigentlichen Job wieder stärker gefragt sein. Dann sollen nämlich im Laufe von vier Wochen 39 Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Palma festmachen – an Bord viele tausend Urlauber, die sich Palmas Altstadt zeigen lassen wollen.

Erschienen auf dw.com.