Bling-Bling auf Mallorquinisch

Bling-Bling auf Mallorquinisch

Auch, wenn die Kunstperlenindustrie auf Mallorca längst nicht mehr den Stellenwert vergangener Jahrzehnte hat, so ist sie doch noch immer allgegenwärtig. Sei es in Palmas Altstadt, wo sich die Touristen an den funkelnden Auslagen der Juweliergeschäfte die Nasen plattdrücken, sei es an der Landstraße, die von Palma aus schnurstracks gen Inselosten führt und an der sich gleich mehrere Verkaufsstellen befinden. Busse voller kaufwilliger Urlauber machen hier in der Hauptsaison Station. Ein paar Kilometer weiter in Manacor, der Perlenhauptstadt Mallorcas, wetteifern dann an der Hauptstraße die bekanntesten Marken mit Möbelgeschäften und Autohäusern um Kunden. Das Ergebnis: Eine wahre Allee aus überdimensionalen Werbeschildern.

Das ehemalige Majorica-Firmengelände liegt brach

Nur noch ein paar Lager- und Verwaltungsgebäude stehen auf dem ehemaligen Fabrikgelände in Manacor. Foto: jm

Auch andernorts lässt sich im Stadtbild Manacors die einstige Bedeutung der Perlenproduktion erahnen. An der Via Majorica etwa, der nach dem bedeutendsten Perlenhersteller Mallorcas benannten Straße, befindet sich dessen ehemaliges Fabrikgelände. Das liegt zwar seit vielen Jahren brach, einige der historischen Gebäude aber stehen noch und geben einen Eindruck davon, wie die Perlenindustrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Stadt verändert hat.

„Man kann sich kaum vorstellen, was aus Manacor ohne die Perlenindustrie geworden wäre”, schreibt der Historiker Sebastià Sansó, der die Geschichte dieser Branche erforscht hat. „Die Bedeutung der Perlenunternehmen für die Bewohner Manacors ist überhaupt nicht hoch genug einzuschätzen.” Dank der Perlenfabriken habe sich Manacor von einer rein landwirtschaftlich geprägten Stadt zu einem bedeutenden industriellen Standort entwickelt. Und nicht nur das: Auch Ortschaften in einem Radius von bis zu 30 Kilometern erlebten dank der Perlenindustrie im frühen 20. Jahrhundert einen spürbaren Aufschwung. Zeitweilig waren nicht nur tausende Menschen in den Fabriken beschäftigt, es gab obendrein ein Heer an Hausfrauen, die in Heimarbeit Perlenketten auffädelten und so ein eigenes Einkommen erwirtschafteten. Für damalige Verhältnisse ein absolutes Novum. „Die Frauen und Kinder Manacors waren die ersten auf der Insel, die in der entstehenden Industrie Arbeit fanden”, schreibt Sansó.

Eine ganze Familie im Dienste der Perlenindustrie

Eine dieser Frauen war die Großmutter von Jaime Estrany. Auf seinem Mobiltelefon hat er ein Foto von ihr gespeichert, das sie bei der Arbeit zeigt: in den 1960er-Jahren bei Majorica. Auch sein Vater arbeitete später bei dem einst von dem Deutschen Hugo Heusch gegründeten Unternehmen. Estranys Mutter wiederum fand Anstellung beim Konkurrenten Orquídea. Familiengeschichten wie diese sind in Manacor keine Seltenheit. Heute ist Estrany Inhaber einer der letzten verbliebenen Perlenfabriken in Manacor. Seine Firma Madreperla, die einst sein Vater gründete, hat fünf Angestellte und exportiert in alle Welt. In 92 Länder, um genau zu sein.

Jaime Estrany hat die Perlenfirma seines Vaters wiederbelebt. Foto: jm

Jahrelang produzierte Madreperla in China, vor allem wegen der niedrigeren Löhne dort, wie Estrany erklärt. Als die chinesischen Behörden vor einigen Jahren jedoch ohne jede Begründung die Schließung der Fabrik verfügten, da war für ihn der Moment gekommen, sich auf die eigene Herkunft zu besinnen und den Standort in Manacor wiederzubeleben. 15 Jahre lang hatte die dortige Produktionshalle leer- und die einst von seinem Vater entworfene Maschine zum Bemalen der aus Glas bestehenden Kunstperlen stillgestanden. Mittlerweile ist die Maschine generalüberholt und das Gebäude komplett renoviert. Als nächstes plant Estrany die Installation einer Fotovoltaikanlage auf dem Dach. Seine Kunden aus Skandinavien legten Wert darauf, dass die eingekaufte Ware nachweislich mit Strom aus erneuerbaren Energien hergestellt sei.

Ein weltweit anerkanntes Qualitätsmerkmal

„Mallorcas Behörden haben die hiesige Perlenindustrie nie in dem Maße verteidigt, wie es nötig gewesen wäre”, sagt Estrany. Besonders der unlautere Wettbewerb mache dem Sektor zu schaffen. Es könne nicht sein, dass billig in China hergestellte Perlenketten in Souvenirläden mit dem Verweis auf eine angebliche mallorquinische Herkunft zu Spottpreisen angeboten würden. „Ich habe hier schon Ketten zu Preisen in Auslagen an der Playa de Palma gesehen, die nur halb so hoch waren, wie meine Herstellungskosten”, sagt er. „Perlen aus Mallorca”, das sei bis heute ein weltweit anerkanntes Qualitätsmerkmal. Die Nachfrage danach sei ungebrochen. „Alle Hersteller auf der Insel sollten sich zusammensetzen und gemeinsam dafür sorgen, dass das Produkt geschützt wird.”

Auch José Moreno ist vom Potenzial der mallorquinischen Perlen überzeugt. Er ist Vorsitzender des spanischen Schmuckherstellerverbandes SEBIME, der auf der Nachbarinsel Menorca sitzt, und konstatiert einen Aufwärtstrend des Sektors. „Vor allem Qualitätsschmuck, der von Dauer ist, läuft gut”, sagt er. Das liege auch daran, dass der Goldpreis so in die Höhe geschossen sei. Viele Leute investierten daher bereitwillig in qualitativ hochwertigen Perlenschmuck.

Hoffentlich schneller als die Konkurrenz

Dennoch sei die Lage des Schmucksektors schwierig, besonders die der 72 Firmen auf den Balearen. Schuld daran ist nicht nur die Pandemie, die die Exporte wie in vielen anderen Branchen auch hat einbrechen lassen. Die Insellage erschwert zudem den Transport, die Kosten sind höher. „Es gibt aber noch einen weiteren Faktor”, sagt Moreno. „Die Schmuckhersteller sind auf den persönlichen Kontakt zum Kunden angewiesen. Der Online-Verkauf ist schwierig.” Die meisten Produzenten verkauften ihre Ware nämlich in großen Stückzahlen. „1000 Ringe per Internet zu verkaufen ist schwierig”, so Moreno. „Das zwingt uns, immer etwas schneller zu sein als die Konkurrenz. Immer einen etwas besseren Service anzubieten, immer auf der Höhe der Zeit zu sein.”

Das sieht auch Jaime Estrany so. Dass die Firmen nicht mit der Zeit gingen und die Trends nicht erkannten, sei einer der Gründe dafür, dass es statt einem halben Dutzend Perlenfabrikanten wie in den 1990er-Jahren auf Mallorca heute nur noch zwei gibt. „Die Mode ändert sich nun einmal”, sagt er. „Wenn du da nicht mitmachst, verschwindest du halt.” Die klassische Perlenkette sei schon seit 20 Jahren immer weniger gefragt. Daher setzt Madreperla auch zunehmend auf Modeschmuck.

Ein ganzes Heer an Selbständigen

Um immer auf dem Laufenden zu bleiben, reist Estrany zu den wichtigsten Schmuckmessen weltweit – nach Mailand, Paris, Hongkong, Miami, Las Vegas. Dort vertritt er dann quasi im Alleingang Mallorcas Perlenbranche. Die hat zwar längst nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren, ist aber als Wirtschaftsfaktor dennoch nicht zu unterschätzen. Denn neben den festangestellten Mitarbeitern beschäftigt Madreperla auch ein ganzes Heer an Selbständigen, die in Heimarbeit die Arbeitsschritte ausführen, die bis heute nicht von Maschinen erledigt werden können. Dazu gehört unter anderem das Auffädeln und Verknoten der Perlen. Und so spielt die Industrie, die einst zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Schicksal einer ganzen Stadt veränderte, für viele Menschen im Inselosten auch heute noch eine überaus wichtige Rolle.

Erschienen im Mallorca Magazin.