Damit alle etwas davon haben
Urlauber verlaufen sich nur selten auf den Platz am Rande der Altstadt von Palma, auf dem an diesem Morgen ein Dutzend Bio-Bauern ihre Stände aufgebaut haben. Vor ihnen türmen sich dicke Melonen, knackige Paprika, zuckersüße Feigen und vor allem viele, viele Tomaten, weil die im mallorquinischen Sommer nun einmal besonders gut gedeihen. Es ist Dienstag und somit Markttag hier auf der Plaça del Bisbe Berenguer de Palou, die etwas abseits der touristischen Sehenswürdigkeiten der Inselhauptstadt liegt. Während sich die Urlauber eher in den traditionellen Markthallen tummeln, in denen es neben Äpfeln aus Südafrika und Trauben aus Chile vor allem Gemüse aus andalusischen Gewächshäusern gibt, kommen auf den Bio-Markt in erster Linie Einheimische, die ganz bewusst nach lokalen Produkten suchen.
Einer der mallorquinischen Bauern, die hier ihre Waren feilbieten, ist Toni Seguí. Der 28-Jährige bewirtschaftet gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester Margalida einen 300-Hektar-Betrieb etwa 30 Autominuten entfernt in der Nähe von Inca. Dort ist er unter anderem für 300 Schafe und 100 Ziegen verantwortlich. Aus deren Milch macht Margalida Käse, den es dann auch im eigenen Hofladen zu kaufen gibt. „Weil ich bescheuert bin“, lautet Tonis Antwort auf die Frage, warum er Landwirtschaft betreibt, obwohl es doch so viel einfacher und auch einträglicher wäre, sich einen Job im Tourismus zu suchen. „Ich mache das, weil es das ist, was meine Familie nun einmal macht. Schon immer.“
90 Prozent aller Lebensmittel werden importiert
Es ist noch gar nicht allzu lange her, da war Mallorca eine ganz und gar landwirtschaftlich geprägte Insel. 100.000 Bauern gab es noch in den 1960er Jahren. Heute sind es knapp 4.000. Ihr Durchschnittsalter: 61 Jahre. Etwa eineinhalb Prozent des Bruttoinlandsproduktes entfallen noch auf den Agrarsektor. Enorme Ackerflächen sind in den vergangenen Jahrzehnten mit Ferienhäusern oder Autobahnen zugebaut worden. 90 Prozent aller Lebensmittel, die auf der Insel konsumiert werden, kommen per Schiff vom Festland. „Die Landwirtschaft ist auf Mallorca vom Aussterben bedroht“, sagt Joan Simonet, Vorsitzender des Bauernverbandes Asaja.
Schuld daran ist auch der Tourismus, findet er. „Der sorgt zwar für Reichtum. Aber dieser Reichtum muss auch verteilt werden“, sagt Simonet. „Es ist doch absurd, dass die Urlauber auf Mallorca durch Olivenhaine wandern und Schafe fotografieren, die Landwirte aber überhaupt nichts davon haben.“ Dabei seien sie es, die durch ihre Arbeit die Schönheit der mallorquinischen Landschaft erhalten. Die Touristen sollten wenigstens darauf pochen, dass ihnen in den Restaurants und Hotels lokale Produkte serviert werden. „Man muss auf Mallorca keine Pizza essen und Rioja trinken“, sagt Simonet.
Tourismus muss der Landwirtschaft etwas bringen
Das sieht man auch beim Verband der ökologischen Landwirtschaft (APAEMA) so. Deshalb läuft dort derzeit eine Kampagne, deren Ziel es ist, den Absatz von mallorquinischem Bio-Lammfleisch zu erhöhen. Sie richtet sich direkt an Restaurants und Hotels, die in der Regel lieber das billigere, aus Neuseeland importierte Fleisch kaufen als das aus heimischer Produktion. Die mallorquinischen Landwirte seien dann gezwungen, ihre Lämmer zu Dumping-Preisen zu verkaufen. „Der Tourismus muss auch der Landwirtschaft etwas bringen“, so das Motto der Kampagne.
Im gleichen Maße, wie der Agrarsektor im Laufe der vergangenen Jahrzehnte an Bedeutung verloren hat, erlebte das Geschäft mit den Urlaubern seinen Aufschwung. Fast 1.800 Übernachtungsbetriebe gibt es mittlerweile auf der Insel, mit mehr als 400.000 Betten. In mehr als einem Dutzend der 53 Gemeinden übersteigt die Zahl der Hotelplätze die der Einwohner. Jeder dritte Arbeitnehmer ist direkt in der Tourismusbranche beschäftigt. Im letzten Vor-Corona-Jahr 2019 kamen fast zwölf Millionen Urlauber nach Mallorca – die Zahl dürfte in diesem Jahr übertroffen werden.
Kampf ums Wasser
„Der Tourismus auf der Insel hat vor langer Zeit aufgehört, nachhaltig zu sein“, sagt Jaume Adrover, Sprecher der tourismuskritischen Organisation Terraferida. Der beste Beleg dafür sind die natürlichen Ressourcen. Schon in den 1990er Jahren wurde mehr Wasser auf Mallorca verbraucht, als vorhanden war. Mit speziellen Tankschiffen musste damals Trinkwasser vom Festland auf die Insel gebracht werden. Heute ist die Versorgung von Mallorquinern und Urlaubern nur dank der Entsalzungsanlagen gesichert, die in der Zwischenzeit gebaut wurden. „Man hätte damals sagen müssen: So groß sind unsere natürlichen Wasservorkommen, bis dahin können wir wachsen und nicht weiter.“
Adrover kennt das Problem aus eigener Anschauung. Er ist im Hauptberuf Bio-Landwirt und baut im Inselosten vor allem Gemüse an. Einer der Brunnen, auf die er angewiesen war, wurde mit der Zeit auch von immer mehr Landhausbesitzern aus der Umgebung genutzt, zum Füllen der Pools etwa. „Am Ende war ich der einzige Bauer weit und breit.“ Durch das Absinken des Grundwasserpegels drang schließlich Meerwasser ein, der Brunnen versalzte, bis er nicht mehr zum Gießen zu gebrauchen war. Adrover musste ganze Ackerflächen aufgeben, weil er sie so nicht mehr bewirtschaften konnte.
Gemeinsam sind wir stärker
Eine Antwort auf die Probleme der Bauern hat man in Sóller, ganz am anderen Ende Mallorcas, bereits vor mehr als 100 Jahren gefunden. So lange gibt es dort schon die Landwirtschaftskooperative Sant Bartomeu, deren Motto lautet: Gemeinsam sind wir stärker. Die durchschnittliche Größe der Orangengärten, für die das fruchtbare Tal berühmt ist, beträgt gerade einmal 0,5 Hektar, sagt die Agraringenieurin Margalida Morey, die bei der Kooperative für die Qualitätskontrolle zuständig ist. „Bei dieser geringen Größe sind Innovationen einfach nicht rentabel – es sei denn, du tust dich mit anderen zusammen.“ 354 Mitglieder hat die Kooperative derzeit.
Diese können nun seit einiger Zeit eine Maschine nutzen, die die Kooperative angeschafft hat und die das Sortieren der Orangen nach Größe ermöglicht – eine Voraussetzung dafür, dass die Früchte an Restaurants und Hotels verkauft werden können: Nur die mittelgroßen Orangen passen nämlich in eine herkömmliche Saftmaschine. Die Folge: Heute gehören lokale Tourismusbetriebe zu den Hauptkunden der Kooperative. Außerdem gibt es einen Laden, in dem man alle möglichen Produkte aus dem Sóller-Tal bekommt: Marmelade, Olivenöl, Obst und Gemüse. Das nutzen auch viele Urlauber, die in den zahlreichen Ferienhäusern der Umgebung abgestiegen sind.
Besonders süße Orangen
Wie Landwirtschaft und Tourismus voneinander profitieren können, lässt sich auch ein paar Straßen weiter gut beobachten, wo Tomeu Deyà in 17. Generation Olivenöl produziert, wie er mit Verweis auf den enormen Stammbaum erklärt, der im Esszimmer an der Wand hängt und bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Can Det heißt das Haus seiner Urahnen. Die Pflastersteine in der Eingangshalle und im schattigen Innenhof sind vom vielen Hin und Her der Jahrhunderte ganz blank gescheuert. Hier bewirtet Deyà Gäste, serviert ihnen frisch gepressten Orangensaft und eine Brotzeit mit Olivenöl von tausendjährigen Olivenbäumen, gepresst in der Olivenmühle nebenan – der ältesten auf der ganzen Insel, die noch funktionstüchtig ist, wie Deyà anmerkt.
Die Hälfte aller Olivenhaine der Umgebung wird schon nicht mehr bewirtschaftet, schätzen Experten. Das liegt daran, dass sie einst als Terrassengärten an den Berghängen angelegt wurden, was zwar auch heute noch schön aussieht, die Ernte aber ganz ungemein erschwert. Maschinen können in dem abschüssigen Gelände nämlich kaum genutzt werden. „Bei uns ist vieles noch immer Handarbeit“, sagt Deyà. Die Menschen müssten bereit sein, für mallorquinische Produkte einen höheren Preis zu zahlen. „Natürlich bekommst du südafrikanische Orangen im Großmarkt billiger“, sagt Deyà. „Aber die sind dann auch nicht am Baum gereift und nicht so süß wie meine.“
Dass Mallorcas Landwirte Unterstützung brauchen, hat nun auch die balearische Regional-Regierung erkannt. Seit einiger Zeit sind alle touristischen Betriebe dazu verpflichtet, zumindest drei Prozent der angebotenen Lebensmittel bei lokalen Produzenten einzukaufen. „Viel ist das zwar nicht“, sagt Bauern-Präsident Joan Simonet. „Aber immerhin: Es ist ein Anfang.“
Nachhaltig auf Mallorca
Anreise Etwas Geduld muss mitbringen, wer nicht nach Mallorca fliegen will. Etwa zwölf Stunden dauert die Fahrt bis Barcelona mit dem Zug, in der Regel mit Umsteigen in Paris. Von der katalanischen Hauptstadt aus geht es dann mit der Fähre weiter, die wiederum etwa sieben Stunden unterwegs ist. Seit einiger Zeit gibt es auch eine Fährverbindung von Toulon (etwa zehneinhalb Stunden). Der Zug dorthin geht ebenfalls über Paris.
Bio-Markt Immer dienstags und samstags von 10 bis 14 Uhr verkaufen Öko-Landwirte ihre Produkte in Palma auf der Plaça del Bisbe Berenguer de Palou www.mercatecodepalma.org
Direktverkauf Bauern, die auf ihren Höfen auch Direkt-Verkauf anbieten, findet man am besten über die Internetseite www.vendadirecta.com
Kooperative Der Einkaufsladen der Kooperative Sant Bartomeu in Sóller ist montags bis freitags von 8 bis 20 Uhr geöffnet, samstags von 8 bis 19 Uhr www.coopsoller.coop
Can Det Tomeu Deyà bietet Führungen und Verkostungen nach Vereinbarung an www.candet.es
Erschienen in der TAZ.