Barcelona hofft auf die Rückkehr der Massen

Barcelona hofft auf die Rückkehr der Massen

Schier unmöglich ist es, ein Foto von der Sagrada Família zu machen, ohne dass einem irgendjemand ins Bild läuft, so groß ist dort normalerweise das Gedränge. Nicht so an diesem Herbsttag. Nur ein paar vereinzelte Touristen recken ihre Hälse, um die Details an der von Antoni Gaudí gestalteten Fassade zu betrachten. Sogar Eintrittskarten gibt es noch für denselben Tag. „Das kommt sonst nie vor“, sagt der Mann an der Kasse, der sich sichtlich langweilt.

14 Millionen Urlauber kamen im Rekordjahr 2019

Mit jährlich fast fünf Millionen Besuchern war die Sagrada Família vor der Corona-Pandemie die gefragteste Sehenswürdigkeit in Barcelona – und gleichzeitig das Symbol für die touristische Massifizierung der Stadt. 14 Millionen Urlauber kamen 2019 – mehr als je zuvor. Zwischen 2010 und 2019 hat sich die Zahl der am Flughafen abgefertigten Pasagiere von knapp 30 auf 53 Millionen fast verdoppelt. Und mit dem rasanten Anstieg wuchs auch der Unmut in Teilen der Bevölkerung. Immer wieder kommt es zu Protesten gegen die Auswüchse des Massentourismus.

Barcelonas meistbesuchte Attraktion ist die Basilika Sagrada Família. Foto: jm

Nun aber ist alles anders. Der Souvenirladen gegenüber der Basilika macht Räumungsverkauf. „Alles für fünf Euro“, steht auf einem Schild an der Tür. Eine Straßenecke weiter betreibt José Lorenzo seit 20 Jahren ein kleines Restaurant. Obwohl Mittagszeit ist und die Tische eigentlich alle besetzt sein müssten, trinkt nur ein einzelner Mann an der Theke Bier. Je mehr Tourismus es gibt, desto besser sei das für die Wirtschaft, findet Lorenzo. „Ist doch positiv, wenn die Leute kommen: Das heißt, es gefällt ihnen hier.“

Ungewohnte Ruhe im gotischen Viertel

Auch ein paar Kilometer weiter in der Altstadt herrscht ungewohnte Ruhe. Vor der Pandemie wälzten sich hier an jedem x-beliebigen Tag die Urlaubermassen durchs gotische Viertel. Nun kommt es sogar vor, dass man ganz alleine durch eine der engen Gassen spaziert und seine eigenen Schritte hallen hört. In einer der wichtigsten Touristenstraßen der Stadt haben eine ganze Reihe Läden pleite gemacht. Die Folgen des monatelangen Stillstands sind in Barcelona deutlich zu sehen.

Ungewöhnlich ruhig geht es in diesen Tagen auf den Ramblas zu. Foto: jm

„Die Lage ist kritisch nach so vielen Monaten ohne richtige Aktivität“, sagt Manel Casals, Generaldirektor des Hotelverbandes von Barcelona. 40 Prozent der Hotels seien nachwievor geschlossen. Normalerweise übernachten im Sommer pro Tag durchschnittlich 60.000 Menschen in den Hotels der Stadt, in diesem Jahr waren es nur 13.000. Die Branche habe seit Pandemiebeginn Verluste in Höhe von 2,7 Milliarden Euro gemacht. „Wir müssen sobald wie möglich zu den Touristenzahlen von vor der Pandemie zurückkehren“, sagt Casals.

Viele Sehenswürdigkeiten auf engem Raum

Das sieht man auch bei der Stadt so. „Die Debatte über die Massifizierung in Barcelona ist übertrieben“, sagt Tourismusdezernent Xavier Marcé. „Wir haben kein Problem mit der Zahl der Urlauber, sondern mit ihrer Verteilung in der Stadt.“ In Barcelona drängten sich die Sehenswürdigkeiten nun einmal auf einer sehr eng begrenzten Fläche. Das führe zu Konflikten mit den Anwohnern und zu unerwünschten Entwicklungen, wie etwa zum Verschwinden des traditionellen Einzelhandels. Im historischen Zentrum gibt es ganze Viertel, in denen man nur noch Souvenirshops, Restaurants und Hotels findet. „Was wir brauchen, ist die Dezentralisierung des Tourismus“, sagt Marcé.

Tourismusdezernent Xavier Marcé will den Tourismus besser auf die ganze Stadt verteilen. Foto: jm

Das Tourismus-Dezernat hat zu dem Zweck mehrere Projekte auf den Weg gebracht. So können Urlauber nun mit Hilfe der App Check Barcelona nachschauen, wie groß der Andrang in den wichtigsten Sehenswürdigkeiten ist – und wenn die Schlangen vor der Sagrada Família mal wieder ganz besonders lang sind, einfach woanders hinfahren. Der Sightseeing-Bus wiederum, der bislang nur die üblichen Attraktionen abklapperte, fährt nun auch durch touristisch fast gar nicht erschlossene Viertel. Wie etwa das ehemalige Industrieviertel Poblenou, das sich seit einigen Jahren zum hippen Künstlerviertel entwickelt.

Aktivisten verlieren an Unterstützung

Dort lebt schon seit vielen Jahren Pere Mariné, einer der schärfsten Kritiker des Massentourismus. Mariné gehört dem mächtigen Einwohnerverband der Stadt an und hat schon so manche Protestaktion organisiert. Die Pandemie hat den Aktivisten allerdings etwas den Wind aus den Segeln genommen. Vielen wurde plötzlich schmerzlich bewusst, wie groß die Abhängigkeit vom Geschäft mit den Urlaubern ist, das etwa 13 Prozent des Bruttosozialproduktes der Stadt ausmacht. „Jeder kennt zumindest irgendwen, der im Tourismus beschäftigt ist und jetzt eine harte Zeit hatte“, sagt Mariné. Eine geplante Protestaktion im Parc Güell mussten die Aktivisten absagen, mangels Teilnehmern.

Pere Mariné ist nicht gegen denTourismus an sich, wohl aber gegen die Massifizierung. Foto: jm

Für Mariné ist klar, dass spätestens im Rekordjahr 2019 eine Grenze überschritten war. Dass das Problem verschwinde, wenn man die Urlauberströme umleitet, glaubt er nicht. „Warum kommen die Touristen? Sie wollen das Camp Nou sehen, den Parc Güell, die Sagrada Familia.“ Es führe kein Weg daran vorbei, die Bettenkapazität in Hotels und sonstigen Unterkünften zu reduzieren. „Wir wollen, dass Hotels zu Sozialwohnungen umgebaut werden.“ Auf diese Weise fahre man nämlich nicht nur das touristische Angebot herunter, sondern bekämpfe gleich auch noch den Mangel an bezahlbaren Wohnungen in Barcelona.

Verringerung der Bettenkapazität ist nicht vorgesehen

Daraus aber wird nichts. Zwar hat die Stadt die Genehmigung neuer touristischer Unterkünfte streng reglementiert, eine Verringerung der Bettenkapazität aber ist nicht vorgesehen. Im Gegenteil: In den Vierteln außerhalb der Innenstadt ist Wachstum möglich. Tourismusdezernent Marcé sagt es klipp und klar: „Es ist nicht unser Ziel, die Zahl der Touristen zu senken.“ Lediglich indirekt strebe man das an, indem man die Aufwertung der Hotels fördere – was zu höheren Preisen führe. „Dann sinkt automatisch auch die Zahl der Touristen.“

Vor allem in der Altstadt mussten viele Geschäftsleute ihre Läden schließen. Foto: jm

Manel Casals vom Hotelverband will von einer Reduzierung der Besucherzahl nichts wissen. Man müsse sich stattdessen verstärkt um Kongress- und Geschäftsreisende bemühen. Die geben mehr Geld aus und verstopfen nicht die Altstadtgassen. Die Möglichkeiten der Einflussnahme aber sind begrenzt, da macht er sich keine Illusionen. „Es gibt nur eine Sagrada Familia auf der Welt“, sagt er: „Jeder, der nach Barcelona kommt, will sie sehen.“ Und zumindest ein Gutes hat das: Schließlich wird der Bau der Basilika in erster Linie aus dem Eintrittskartenverkauf finanziert.

Das Ausbleiben der Touristen hat nun dazu geführt, dass die für das Jahr 2026 geplante Fertigstellung verschoben werden musste. Im 100. Todesjahr von Antoni Gaudí sollten die Arbeiten eigentlich abgeschlossen sein. Nach dann 144 Jahren Bauzeit.

Erschienen auf dw.com.