Mallorcas holpriger Neustart

Mallorcas holpriger Neustart

Juan Jesús Bouzas ist hin- und hergerissen. „Die Situation ist wirklich widersprüchlich“, sagt er. „Zum einen bin ich auf den Tourismus angewiesen, zum anderen gehen gleich wieder die Probleme los.“ Bouzas lebt seit seiner Kindheit an der Playa de Palma, der wichtigsten Touristenmeile Mallorcas. Er betreibt dort einen Schuhladen, nur ein paar Querstraßen vom berüchtigten „Ballermann“ entfernt. Hinter ihm liegen 18 Monate praktisch ohne Umsatz. Einerseits ist er deshalb froh, dass sich nach der coronabedingten Zwangspause auf der Insel überhaupt wieder jemand für seine Auslage interessiert. Andererseits bringen ihn nun nachts erneut die grölend durch die Straßen ziehenden Urlauber um den Schlaf.

Juan Jesús Bouzas vor seinem Schuhladen an der Playa de Palma. Foto: jm

Ein neues Image soll her

Nachdem auf der Insel monatelang überhaupt kein Tourismus möglich war, hatten an den vergangenen Wochenenden tausende Deutsche feuchtfröhliche Freiluftparties gefeiert – ohne sich um Maskenpflicht und Abstandsregeln zu scheren. Die Polizei bekam die Situation an der Playa de Palma nur mit Mühe unter Kontrolle. Nun plant die Balearen-Regierung Medienberichten zufolge sogar, vorübergehend sämtliche Lokale in den beiden bei Partyurlaubern besonders beliebten Straßen, der sogenannten „Bier-“ und „Schinkenstraße“,  wieder zu schließen.

Dabei sollte es solche Exzesse auf der Insel nicht mehr geben. Seit Jahren versuchen Politiker und Tourismusbranche nämlich, die Sauftouristen loszuwerden. Mit immer strengeren Vorschriften und dem Versuch, der Insel ein neues Image zu verpassen. „Mallorca ist eine sichere, nachhaltige und innovative Qualitätsdestination“, sagte Inselratspräsidentin Catalina Cladera, als sie kürzlich auf Werbetour in Deutschland unterwegs war. Qualitäts- statt Billigtourismus lautet die Devise.

Die Polizei hat Mühe, die deutschen Partyurlauber in Schach zu halten

Was damit gemeint ist, kann man gleich neben dem Schuhladen von Juan Jesús Bouzas beobachten. Dort befindet sich das Hotel Garonda, vor mehr als 50 Jahren das erste und für lange Zeit auch einzige luxuriöse Haus an der Playa de Palma – bevor sie für Billig-Absteigen und Eimersaufen berühmt wurde. Heute gibt es in der Gegend 64 Vier- und Fünf-Sterne-Hotels.

Polizeieinsatz im Juni an der Playa de Palma. Foto: jm

Noch Anfang der 1980er Jahre machten die Ein- bis Drei-Sterne-Hotels auf Mallorca noch fast 90 Prozent des Angebots aus. Heute fallen nicht einmal mehr 40 Prozent aller Hotels in diese Kategorie. Laut Juan Miguel Ferrer von der Qualitätsinitiative „Palma Beach“ haben die Unternehmer an der Playa de Palma in den vergangenen sechs Jahren 1,3 Milliarden Euro in die Modernisierung und Aufwertung investiert. „Wenn du das Angebot veränderst, veränderst du auch die Nachfrage“, hofft er. „Wir haben hier alles, um ein Paradies zu schaffen.“ Eine kleine Minderheit der Urlauber aber drücke der ganzen Gegend noch immer ihren Stempel auf.

„Die Touristenzahl kann nicht weiter steigen“

Das sieht auch Pedro Homar so, der Leiter der Tourismusförderung der Stadt Palma. Die Partyzone am „Ballermann“ mache gerade einmal zwei Prozent der Gesamtfläche der Playa de Palma aus, hat er nachgerechnet. „Die Gegend hat sich drastisch verändert“, sagt er. „Es sind Unmengen an Geld investiert worden.“ Allein in den vergangenen zwei Jahren habe die Stadt sechs Millionen Euro in die Aufhübschung der Zone gesteckt. Zuletzt pflanzte die Stadt dort 400 zusätzliche Palmen. Man wolle verstärkt Familien und Premium-Urlauber anlocken. „Die Touristenzahl auf Mallorca kann nicht weiter steigen“, sagt Homar. 2019, im letzten normalen Jahr vor der Pandemie, waren es zwölf Millionen. Die Insel stößt an ihre Grenzen. Also sollen künftig weniger Urlauber kommen, die dafür aber mehr Geld dalassen.

Pedro Homar will verstärkt „Premium-Urlauber“ nach Palma locken. Foto: jm

Wie schwierig es sein kann, einerseits den Tourismus wieder anzukurbeln und diesen gleichzeitig verträglicher zu gestalten, zeigt sich derweil am anderen Ende der Stadt. Dort, am Hafen, legte Mitte Juni nach 15 Monaten Zwangspause zum ersten Mal wieder ein Kreuzfahrtschiff an. Iago Negueruela, der balearische Tourismusminister, war höchstpersönlich an Bord gekommen, um seine Aufwartung zu machen. „Für viele Unternehmen geht es jetzt wieder aufwärts“, versprach er. Immerhin hat die Inselwirtschaft in den vergangenen Monaten schwer gelitten unter dem Ausbleiben der Urlauber.

Proteste gegen den Kreuzfahrttourismus

Dennoch hagelte es anschließend Kritik. Die Regierung solle zusehen, endlich eine Höchtsgrenze für Kreuzfahrtschiffe festzulegen, die zur selben Zeit in Palmas Hafen festmachen dürfen, forderten Vertreter der Linkspartei Més. Und vor der Kathedrale versammelten sich knapp 100 Personen, um gegen den Kreuzfahrttourismus zu demonstrieren. Vor allem die Luftverschmutzung und die Anwesenheit tausender Touristen in Palmas Altstadt an manchen Tagen sorgen immer wieder für Proteste.

Knapp 100 Personen demonstrierten gegen den Kreuzfahrttourismus. Foto: jm

Dafür wiederum hat Alex Fraile kein Verständnis. Die Reiseführerin und Sprecherin einer Initiative pro Kreuzfahrtschiffe ist froh, endlich wieder arbeiten zu können. „Dies ist echter Qualitätstourismus“, sagt sie: „Und den bekämpfen wir? Das kann doch nicht sein!“ Keine andere Urlaubergruppe sei so interessiert und kulturbeflissen, wie die Kreuzfahrtpassagiere. Wer diese loswerden wolle, solle das mal den vielen Leuten erklären, die jetzt seit Monaten zu Hause sitzen und zum Nichtstun verurteilt sind: Taxifahrer, Kellner, Eisverkäufer.

Und Einzelhändler wie Juan Jesús Bouzas von der Playa de Palma. Trotz allen Ärgers über die Partytouristen in den vergangenen Tagen ist er doch froh, dass das Geschäft nun wieder etwas an Fahrt aufnimmt. Zumal sich Besserung abzeichnet: Die Sperrstunde wurde mittlerweile auf zwei Uhr morgens verlegt und demnächst dürfen wohl auch die Diskotheken wieder den Betrieb aufnehmen. Dann wird die Party an der Playa de Palma wieder drinnen stattfinden und Juan Jesús Bouzas etwas ruhiger schlafen können.

Erschienen bei der Deutschen Welle